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Kulturschock China oder: Wie ich die Grosse Mauer erklomm. Erzählungen und Essays. Mit einem Nachwort von Wolfgang Kubin


Abbildung in Arbeit
Titel:Kulturschock China oder: Wie ich die Grosse Mauer erklomm. Erzählungen und Essays. Mit einem Nachwort von Wolfgang Kubin
Autor:Buch Hans Christoph
Preis:Euro 24.80
Bestellnummer:71704

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Am 1. Oktober 2019 feiert die Volksrepublik China ihren 70. Geburtstag. Hans Christoph, der große Reisender unter den deutschen Autoren, hat China auf Einladung des Schriftstellerverbands, als Writer in Residence und Gastdozent, seit Mitte der 80er Jahre immer wieder besucht. Buch nimmt das Jubiläum zum Anlass, seine Texte zu China gesammelt herauszugeben: Von den Uiguren in Singkiang, die sich gegen Fremdherrschaft auflehnen, bis zur deutschen Ex-Kolonie Tsingtau, heute Qingdao, wo das chinesische Bier herkommt, gebraut nach bayerischem Reinheitsgebot von 1516. Herausgekommen ist ein persönlicher Erfahrungsbericht der besonderen Art: Kein Sachbuch, das bloße Meinungen referiert, sondern ein historisches Lesebuch mit Erzählungen und Essays, das die Tiefendimension von Chinas Kultur und Literatur sichtbar macht, ohne ihre Schattenseiten zu ignorieren.
Mit einem Nachwort von Wolfgang Kubin.
252 Seiten, mit Lesebändchen, geb.

Um die Wahrheit zu sagen, freut es mich immer, zu hören, dass Menschen, die ich nicht kenne, sich zur Revolution bekannt haben; aber wenn gute Bekannte von mir Revolutionäre werden, bin ich nicht davon erbaut. Wenn man mir sagt, dass ich mein Leben für die Revolution opfern sollte, wage ich es nicht, nein zu sagen. Aber wenn man mich einlädt, mich zu setzen und Tee zu trinken, fühle ich mich wohler.
(Lu Xun)

Inhalt
Vorspann
Doppelglück oder: Wer nichts tut, erreicht alles
Wie ich die Große Mauer erklomm: Eine Postkarte aus Peking Morgenblüten, abends gepflückt: Hommage an Su Dongpo
Il Milione oder: Marco Polos Vermächtnis
Schlanker Weiden Haargezweige: Goethe und die Folgen
Asiatische Despotie: Anmerkungen zu einer Denkfigur
Wang Shiwei oder: Die Lilien auf dem Felde
Beiläufiges im Lampenschein: Von Lu Xun zu Bei Dao
Klara Blum oder: Der Hirte und die Weberin
Von Urumqi nach Kashgar: Chinas wilder Westen
Der Flieger von Tsingtau: Eine wahre Geschichte
Sadismus, Sex und Schadenfreude: Chinesische Faits divers
Die Reise Nach Osten: Ein Paradigmenwechsel
Danksagung
Nachwort von Wolfgang Kubin

Nachwort
Und immer wieder Su Dongpo. Und immer wieder Goethe. Ich habe nicht selten unseren Chinesen als einen chinesischen Goethe bezeichnet. Das, obwohl beide mehr als sechshundert Jahre voneinander getrennt gelebt und gewirkt haben. Hans Christoph Buch jedoch wurde nicht müde, mir in Qingdao zu erklären, wie modern der Herr Su vom Osthügel (Su Dongpo) sei, den er hauptsächlich durch die großartige Biographie namens The Gay Genius aus der englischen Feder des begnadeten Literaten Lin Yutang kennengelernt hatte.

Qingdao, da saß unser HCB gern während seiner zwei Gastdozenturen auf einem Stein hügelaufwärts über dem Gelände der Universität für Meereskunde und betrachtete vom Lao Shan aus die Welt. Ich fühlte mich an Walther von der Vogelweide erinnert. Aber ich habe unseren Weltreisenden nicht erst vor wenigen Jahren kennengelernt, als ich noch an der Deutsch-Abteilung besagter Hochschule im ehemaligen deutschen Schutzgebiet Tsingtau (1889-1914) tätig war (2012-2016). Wir waren viele Jahrzehnte bereits vorher vereint gewesen, als das Goethe-Institut München vier Vertreter der deutschen Literatur mit mir im Gepäck auf Reisen schickte, um zwischen Peking und Hongkong Gespräche mit unseren Kollegen vor Ort zu führen. Wir kamen damals vor der Endstation Hongkong zuletzt nach Guilin, wo der von HCB vielfach erwähnte Dichter Li Bai die betörend anmutenden Karsthügel lange vor uns erklommen hatte. Während der Kulturrevolution saß ich dort oben und sann nach über die vergehende Welt.

HCB und ich kamen eines frühen Morgens Ende März 1985 vor unserem Hotel ins weitere Gespräch. Wir waren zeitig auf den Beinen und spazierten um das alte Stadttor herum. Mir fiel da seine Neugier auf. Er fragte Dinge, die andere mieden. Er hakte nach. Er war ein guter Beobachter, ohne vorschnell Urteile zu fällen. Er ließ sich Zeit. Er sparte nie die harte Realität aus. Ich hätte mich niemals seinem Afrika stellen können, wo er sich, nur mit der Bibel unter dem Arm und mit dem Kreuz auf der Brust, als vermeintlicher Missionar oder Priester schützen konnte, wenn es in den von ihm betretenen Kriegsgebieten um Tod oder Leben ging.

Guilin, das war die Fahrt auf dem heute immer noch unberührten Fluss namens Li. Das Wetter war nicht sehr wirtlich. Wir saßen unter Deck und aßen wohl Feuertopf. Ich hatte dieser Tage an all das zurückzudenken, als ich kürzlich auf Hainan war, auf einer Insel im südchinesischen Meer, wohin unser Su Dongpo (eig. Su Shi) wegen Unbotmäßigkeit verbannt gewesen war. Was ihm da fehlte, beschreibt HCB in seinem großen Essay. Ich muss es nicht wiederholen. Ich dachte zurück und verfasste das folgende Sonett aus Anlass des 75. Geburtstages unseres Meisters zum 13. April 2019. Ich war um drei bis fünf Zeilen gebeten worden, es wurden vierzehn Verse. Das lag in der Natur von Gedächtnis und Erinnerung. Beides sind zwei Paar Schuhe, wie man so schön sagt. Gedächtnis, das ist das Leiden, Erinnerung, das ist das Gespräch.

HCB in Guilin

Warum denke ich an dich am südchinesischen Meer,
daß einst wir standen in Guilin unter dem Zuckerberg?
Es ist doch schon all die Jahre so viel her,
daß wir bedachten unser allzu frühes Werk.

Uns stand unverhofft Guilins so altes Stadttor offen,
wir strichen jung ums Wasser und ewig um das Feld.
Wir fragten nicht, was kostet diese kleine Welt,
wir fragten, was können wir auf unserem Weg erhoffen.

Heute gehen wir unwillig auf manches Alter zu,
wir sprechen von den feisten Toden überall auf Erden.
Wir geben noch immer keine und niemals eine Ruh.

Wir sinnen, was soll aus all dem Möchtenicht bloß werden?
Es treibt ihn heuer so fern im Norden von Moabit,
und mich im südlichsten Hainan zu unserm vorletzten Lied.

Es bleibt hierzu nur wenig noch nachzutragen: Der beliebte Badeort Sanya auf Hainan gilt als der südlichste Ort von China. Dort entstand obiger Text. HCB lebt in Moabit, wo er mir im August 2017 das Grab von Albrecht Haushofer zeigte. Dieser Widerstandskämpfer hatte zu seiner Erschießung im April 1945 seine heute so genannten Moabiter Sonette aus dem Gefängnis mit in den Tod genommen.

Es ist kein Zufall, daß uns ein Märtyrer und sein Grab verbinden, daß ich die damalige Begegnung mit Hans Christoph in Verse faßte, die unter dem Titel Moabit. Für H.C. Buch erschienen sind (Was kommt, was bleibt, Bacopa 2018). Uns treibt etwas um, was uns mit China verbindet, aber auch darüber hinaus. Man nennt das im Chinesischen yuanfen: Das Schicksal hat uns zusammengeführt. Unser gemeinsames Schicksal heißt Lu Xun. Damit mag mein Geschick für Außenstehende und Nichteingeweihte merkwürdige Formen annehmen.

Ich bin u.a. Sinologe, u.a. ein Spezialist für Chinas Vater der modernen Literatur, habe mir aber von dem Literaturkritiker Buch in seinen Jugendjahren denselben vorstellen lassen müssen, um dessen ungeheure Bedeutung überhaupt ermessen zu können. Natürlich hatte ich Lu Xun gelesen. Im Original an der Universität Münster. Wohl Wintersemester 1968 / 69. Ich verstand gar nichts. In deutschen Übersetzungen. Ich fand diese wenig attraktiv. Schließlich wurde ich Herr Dr. einer Buchwissenschaft und hatte die Möglichkeit, kurz darauf im November 1974 für ein Jahr zum Sprachstudium nach Peking zu gehen. Damals wie heute war bzw. ist WDR III mein Lieblingssender. Ich meine das Radio.

Eines abends saß ich über dem Japanischen im Kreuzviertel von Münster vertieft am Schreibtisch und hörte im Äther nebenbei eine Sendung. Ich weiß nicht, ob es The Masters Voice war, die ich kurz vor meiner Ausreise vernahm. Vielleicht verlas ein anderer die Einleitung zu (damals noch wie üblich geschrieben): Lu Hsün. Der Einsturz der Lei-feng-Pagode, von unserem umtriebigen Zeitgenossen, damals natürlich längst auch schon ein Erzähler, gerade bei Rowohlt herausgegeben. Es handelte sich um Essays zu Literatur und Revolution in China. Diese Vorrede sollte mein Leben verändern. Ich hatte mich von einem Schriftsteller, der in den USA ein wenig Chinesisch gelernt hatte, und nicht etwa von der Sinologenwelt überzeugen lassen müssen, daß China keineswegs nur im Altertum mit Laotse oder im Mittelalter mit Du Fu oder in der beginnenden Neuzeit mit Su Dongpo Weltliteratur zu bieten hatte, sondern ebenfalls in der sich anschickenden Moderne mit Lu Xun! Mein Glück wollte es sein, daß ich in Peking die richtigen Lehrer traf, welche in der Lage waren, mir das auch für die heutige chinesische Leserschaft schwierige Original schmackhaft zu machen. So begann meine Wende von der Antike zur Gegenwart und damit von einer leeren Kunst zu einem lebenslangen Brotberuf, den mir niemand zugetraut hatte.

Aber warum diese Gemeinsamkeit von Buch und Kubin über die Jahrzehnte? Zunächst ganz einfach: Besagte Ausgabe von Lu Xun war mein Schatz. Ich habe sie bis heute immer wieder zitiert. Inzwischen ist sie zerfleddert. Wiewohl nicht aus dem Chinesischen übertragen, fanden sich in ihr keine Fehler. Wenn man wie unser Autor Übersetzen als Umsetzen versteht, kann es bekanntlich kein falsches Verständnis geben.

Ich meine aber letztendlich, besagte Gemeinsamkeit hat ihren eigentlichen und schließlich tieferen Grund in der deutschen Vergangenheit, die Lu Xun auf manche Art und Weise in unser beider Denken miteinbindet. Anscheinend sind wir drei aus demselben Holz geschnitzt: Wir sehen das Leid und das Leiden der Welt, ganz gleich, wo wir stehen oder gehen, und reflektieren über Ungeheuerlichkeiten, um eine Antwort für das 20. Jahrhundert zu finden, welche die Unzulänglichkeit des Menschen und seiner Hilfskonstruktionen so sehr in unser Bewußtsein gehoben hat. HCB tut dies natürlich mutiger, trauererfahrener und weitgereister als ich. Ich verstecke mich in Hörsälen und hinter Theorien, er steht an der blutigen Front und setzt sich allen möglichen Traumata aus. Dabei kommt er mir vor wie Su Dongpo oder wie Lu Xun, welche Hinrichtung oder Häscher nicht gefürchtet haben. Der eine behielt seinen Humor und seine Gelassenheit, der andere ließ sich weder kaufen noch blenden. Alle drei bilden heute ein Triumvirat der geistigen und seelischen Unbestechlichkeit, dem ich mich dankbar als Nachfolger verbunden fühlen möchte.

Darum hat mich die Lektüre des vorliegenden Werkes so betroffen gemacht. Natürlich begegnete ich alten Bekannten wie Wang Shiwei oder Klara Blum, die Gegenstand meines Unterrichts an deutschen oder chinesischen Hochschulen (gewesen) sind. Doch der treue Freund hat sie mir neu nahegebracht, so daß ich mit der wiederholten Lektüre oft innehalten mußte, um nicht zu tief und ein weiteres Mal meiner Lebenshaltung, der heiligen Melancholie, zu verfallen, und altgeworden sowie sentimental, dem Tränenfluß bereitwillig nachzugeben. Wer würde im chinesischen Sprachraum schon so ergreifend über Wang Shiwei oder Klara Blum zu schreiben wagen? Niemand! Hier wird ein Deutscher zum bewundernswert sachlichen Anwalt der chinesischen, der deutschen und der sowjetischen Geschichte! Hier schreibt ein Mann ohne Haß, er zieht das Mitleiden mit der leidenden Kreatur vor. Äußerst ergriffen hat mich, was Klara Blum über die aus Moskau abziehende, verelendete deutsche Soldateska bemerkt. Was für ein Herz! Was für eine Größe!

Lu Xun hat immer wieder die Angst des Chinesen vor sich selbst und dessen mangelnde Zivilcourage beklagt, ja angeklagt. Als in Peking anläßlich unseres Delegationsbesuches die Frage aufkam, welche Werke von Peter Schneider und von Hans Christoph Buch wohl möglichst bald ins Chinesische übersetzt werden sollten, hatte ich natürlich meine Antworten parat. Doch man winkte ab, die beiden seien zu politisch. Da habe ich nicht schlecht gestaunt. Und wie es ausschaut, hat sich an diesem Urteil bis heute nicht viel geändert. Man zieht aus deutschen Landen leichte Kost vor, was man auf Neudeutsch Bestseller nennt.

In dieser Hinsicht wird China den vielen Verdiensten von Hans Christoph Buch nicht gerecht. Er hat über bald fünf Jahrzehnte unendlich viel zu dem beigetragen, was man so simpel den Brückenbau zwischen sagen wir mal China und sagen wir mal Deutschland nennt. Die Berichte über Zusammenkünfte mit dem großen Dichter Bei Dao oder mit dem erfolgreichen Romancier Yu Hua geben in diesem Buch hinreichend Auskunft. Er war als Stadtschreiber in Hangzhou durch meine Empfehlung, was er nicht weiß. Er hat später wieder durch meine Vermittlung - für wenig Geld und unter schweren Bedingungen keine Klimaanlage, kein Internet, keine Barmittel, keine Ansprache Goethe vor begeisterten Studentinnen an der Ocean University von Qingdao unterrichtet. Ein Zettel mit den chinesischen Schriftzeichen für Nudelsuppe war sein größtes Pläsier in der Kantine der Dozenten, und als dann das Gehalt endlich kam, um sich etwas anderes als Nudelsuppen zu leisten, hatte er die Polizei auf dem Hals, denn man hatte ihm in der Bank falsche Banknoten ausgehändigt. Mir ist ähnliches einmal auf einer Post von Qingdao passiert: Man verkaufte mir gefälschte Telefonkarten, die ich nicht wieder loswurde. Wir gehören nicht zu denjenigen, die den Chinesen aus Erfahrungen wie diesen einen Strick drehen und posaunen: Alle Chinesen sind Betrüger. Ganz das Gegenteil, wir treffen immer wieder auf die guten Menschen von Sichuan.

Und die Ideologen? Sie reißen weltweit das Maul weit auf und erklären heute fast alles aus (post)kolonialer Sicht. Als studierter Germanist mit einem Panoptikum des Wissens blickt unser Weltenbummler da weiter. Wir sehen das an dem Beispiel des Fliegers von Tsingtau. Dessen Erinnerungen hatte ich lange Zeit gemieden, bis ich mich eines besseren belehren lassen mußte. Unser Jubilar ist ein unvoreingenommener Meister des Außenblicks. Unter seiner Feder verwandelt sich vermeintlich Eindeutiges in Mehrdeutiges. Und so sieht er im Kleinen das Große wirken. Die Faits divers wären da zu nennen. Leider hat China Daily die tägliche Rubrik der seltsamen Begebenheiten eingestellt, um sich umso glanzvoller mit Ruhmestaten präsentieren zu können. Die einstigen abstrusen Nachrichten von Menschen wie Du und Ich haben in unserem Literaten einen letzten humorvollen Boten gefunden. Was chinesische Gegenwartsliteratur oftmals so zäh erscheinen läßt, ist die Absenz von Humor. Su Dongpo und sein deutscher Verehrer wären da für die Kultur und Politik der neuen Weltmacht an allen Orten von Nord bis Süd wieder bzw. neu zu entdecken.

Was einen großen Literaten auszeichnet, ist seine Bereitschaft, von sich abzusehen und sich in den Dienst an andere zu stellen. HCB ist ein großer Förderer: Er stellt in der Samstagsausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung immer wieder Gedichte seiner Zunft vor, er vermittelt Lesungen in Buchhandlungen seiner Wahl, er ermuntert in die Jahre gekommene Verseschmiede endlich mit dem Publizieren zu beginnen. Das heißt, er gibt sein Blut. Zu viele Schreibwütige in China meist Männer sehen nur sich selbst und sehen sich als die Größten an. Für die Vermittlung tun sie nichts, denn Vermittlung ist anstrengend, sie bedarf der Fremdsprachen, der Zeit und der Opfer. Und wir können auch sagen: des Auges, des Ohrs, der Stimme. Sehen, Hören, Sprechen, Schreiben wollen gelernt sein.

Warum sage ich dies alles? Im Kritischen Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur unseres gemeinsamen Freundes Heinz Ludwig Arnold (damals ebenfalls in China dabei) findet sich kein sehr liebevolles Porträt von Hans Christoph Buch. Literaten meinten, sich mit ihren Anmaßungen auf seine Kosten überheben zu dürfen, Literaten, die über ein Zeitungswissen verfügen und die Welt aus sicheren Sesseln betrachten. Unser Mann aus dem heutigen Berlin ist immer wieder aufgebrochen, bis ins hohe Alter. Er hat sich nicht geschont und tagelang Klausuren im Lao Shan Gebirge korrigiert, wo einst der große Übersetzer Richard Wilhelm weilte, wo heute am Stadtrand von Qingdao eine neue Meeresuniversität im deutschen Stil der Kolonialzeit errichtet steht: Die Eingangstore sind der Pforte der ehemals deutschen Kaserne eine Trutzburg - nachgebaut! Kolonialismus? Postkolonialismus? Da gibt es immer noch etwas anderes! Immer noch ein Drittes.

Hinter den massiven Toren habe ich mit dem Begnadeten zweimal gelesen, und die Studentinnen haben gesungen. Voller Begeisterung, ihm zur Ehre! Und er, der Geehrte, brachte noch einen unbekannten amerikanischen Poeten zur Lesung mit, der nie publiziert hatte. Wir haben ihn dann beide dank der Palm Press von Berlin dieses Jahr in Buchform untergebracht.

Su Dongpo, immer wieder Su Dongpo: Was mir an besagtem Kritischen Lexikon mißfiel, war die Überheblichkeit, noch mehr die Unfähigkeit, die Bedingungen des Schreibens mitzubedenken. Lu Xun, Wang Shiwei, Klara Blum, Albrecht Haushofer, Hans Christoph Buch, Su Dongpo: Sie alle waren auf dem Weg, von einer Not zur anderen. Um ihrer Sache willen, manchmal aus Liebe, mehr noch aus Verantwortung. Wessen Sprache will da nicht gezeichnet sein?

Goethe, immer wieder Goethe: Als die französischen Revolutionstruppen in Weimar einmarschierten, ist er als einziger Mann von Bedeutung nicht geflohen. Er meinte da bleiben zu müssen. So wie später Richard Wilhelm in Tsingtau während der japanischen Belagerung. Der einstige Missionar stieg trauernd über Leichen so wie später unser Literatus entsetzt über Sterbende auf einem anderen Kontinent.

Heute danken wir all jenen, die sich um des Menschen willen und zum eigenen Leidwesen durchgeschlagen haben. Die Nachgeborenen mögen ob unserer Tränen Nachsicht üben und gütig ihr Urteil fällen.

Wolfgang Kubin, Shantou University am Frauentag 2019

Nota bene: Der Autor hatte mich gebeten, die Umschriften für das Chinesische in seinem Werk nach dem heutigen international üblichen Standard (Hanyu Pinyin) zu vereinheitlichen. Die von ihm benutzten unterschiedlichen Systeme sind jedoch historisch verbürgt. Sie mögen den Texten zwar ein orientalisches Kolorit geben, aber die erwünschte Umarbeitung wäre zu aufwendig gewesen. Es konnte daher nur eine bedingte Vereinheitlichung stattfinden. Die Leserschaft wird sich aber leicht durch das Chaos der leider bis heute selbst in der Sinologie und mehr noch in chinesischen Landen anhaltend fehlenden Systematik hindurchfinden.

Der Autor
Hans Christoph Buch ist der große Reisende unter den deutschen Schriftstellern und lebt, wenn er nicht unterwegs ist, in Berlin. Er veröffentlichte eine Romantrilogie zu Haiti, wo sein Großvater sich Ende des 19. Jahrhunderts als Apotheker niederließ und eine Kreolin heiratete, sowie zahlreiche Essays, Erzählungen und Reportagen aus Kriegs- und Krisengebieten in der Anderen Bibliothek und in der Frankfurter Verlagsanstalt.
www.hans-christoph-buch.de

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