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Wurzeltantra und Tantra der Erklärungen aus Die vier Tantra der Tibetischen Medizin. Mit einem Vorwort des XIV. Dalai Lama


Abbildung in Arbeit
Titel:Wurzeltantra und Tantra der Erklärungen aus Die vier Tantra der Tibetischen Medizin. Mit einem Vorwort des XIV. Dalai Lama
Autor:Ploberger Florian (Hrsg)
Preis:Euro 49.00
Bestellnummer:18710

Portofreie Zusendung in Österreich und nach Deutschland!

Geschätzte Leserinnen und Leser,
das Weltkulturerbe der Tibetischen Medizin ist eine jahrtausende alte Quelle, die nun durch dieses Projekt erstmalig in diesem Umfang der westlichen Welt zugänglich gemacht wird.
Das vorliegende Werk basiert auf dem bedeutendsten Text der Tibetischen Medizin, dem rgyud bzhi, und übermittelt neben den umfassenden medizinischen Inhalten die über viele Generationen tradierten universellen Weisheiten der tibetischen Kultur.
Tibetische Medizin stellt durch ihre Einsichten über das Verhältnis zwischen dem menschlichen Körper und Geist eine Vertiefung der westlichen Medizin dar. Das nun herausgegebene Buch ermöglicht den Menschen westlicher Länder einen direkten Zugang zu den Weisheiten der Tibetischen Ärzte und ihren Methoden, die somit einer grösseren Zahl an Menschen zugute kommen können.
Ich bedanke mich von Herzen bei allen, die dazu beigetragen haben, dieses wunderbare Werk realisieren zu können.
Hochachtungsvoll,
Ihr
Dr. med. univ. Florian Ploberger, B.Ac., MA

Klappentext:
Ich bin davon überzeugt, dass wir Tibeter mit unserem medizinischen System zum Wohlbefinden unserer Mitmenschen beitragen können, sogar jetzt, wo wir selbst als Flüchtlinge unser Leben fristen.
Seine Heiligkeit der 14. Dalai Lama

Eine uralte Tradition, die auf einem Gerüst fundierter Theorien aufbaut, in bewundernswürdiger Weise in 5900 Versen geschrieben und mit einem Garn von Metaphern und Gleichnissen feinstens verwoben ist, eine uralte Tradition, welche die Weisheit einer der ältesten und unberührtesten Kulturen der Welt darstellt, wird heute der Welt verkündet, damit sie von allen Erdenbürgern in Ehren gehalten und gewürdigt werde.

Die Tibetische Medizin ist eine Kunst, denn sie zeigt, wie man optimal sein Leben meistert. Sie ist auch eine Wissenschaft. Ihre Erkenntnisse können in Theorie und Praxis empirisch bewiesen werden. Die Tibetische Medizin kann auch als Philosophie bezeichnet werden, da sie eine tiefgründige Verbindung zur buddhistischen Lehre herstellt. Sie ist ein umfassendes Konzept und bietet Antworten auf viele psychologische Krisen und psychosomatische Krankheiten der heutigen Zeit; ihr System stellt eine integrierte Wissenschaft dar.

Diese facettenreiche Weisheit, die in einem Werk zusammengetragen wurde, wird rgyud bzhi genannt und ist der Grundlagentext der Tibetischen Medizin schlechthin. Die rgyud bzhi enthält vier Tantras, nämlich rtsa rgyud (Wurzeltantra), bshad rgyud (Tantra der Erklärungen), man ngag rgyud (Tantra der mündlichen Überlieferung) und phyi ma rgyud (nachfolgendes Tantra). Die ersten beiden Tantras bilden das Fundament, auf dem alle Prinzipien der Tibetischen Medizin aufbauen. Drittes und viertes Tantra geben detailliertere Einsichten über die Klassifikation von Krankheiten, die praktische Anwendung von Diagnosemethoden und die therapeutischen Aspekte der Tibetischen Medizin.

Diese Übersetzung von Wurzeltantra und Tantra der Erklärungen macht deutlich, dass das Tibetische Volk auch andere Völker an seinem Wissen teilhaben lassen und der Gesundheit aller Menschen dienen möchte.

Eine Übersetzung des Buches
The Basic Tantra and The Explanatory Tantra from the Secret Quintessential Instructions on the Eight Branches of the Ambrosia Essence Tantra basierend auf der Men-Tsee-Khang Publikation (2008)

Editiert und (mit dem tibetischen Orginaltext) überarbeitet von
Florian Ploberger
Übersetzung: Mag. Ursula Derx; Dr. med. univ. Florian Ploberger B. Ac., BA
2. Auflage, 456 Seiten, Abb., mit Lesebändchen, geb.

Vorwort des Herausgebers

Liebe Leser/Innen,
um die Werte der tibetischen Medizin einem breiten Publikum zugänglich zu machen, hat das Men-Tsee-Khang (das Institut für tibetische Medizin und Astrologie unter der Schirmherrschaft des XIV. Dalai Lama in Dharamsala, Nordindien) verschiedene Initiativen ergriffen. So entstand in den letzten Jahren die Übersetzung der ersten beiden (von insgesamt vier) Tantras der sogenannten rgyud bzhi in englischer Sprache.
Der Titel dieses im July 2008 erschienenen Werkes lautet: The Basic Tantra and The Explanatory Tantra from the Secret Quintessential Instructions on the Eight Branches of the Ambrosia Essence Tantra.

Nachdem vom Men-Tsee-Khang im März 2011 anlässlich einer Konferenz, die das fünfzigjährige Bestehen dieses Institut im indischen Exil feiern sollte, in Anwesenheit Seiner Heiligkeit des XIV. Dalai Lama die zweite, überarbeitete Auflage dieses Buches - jedoch mit einem abgeänderten Titel versehen - präsentiert wurde, habe ich in Absprache mit Dr. Thokmay Paljor, Chief Translater des rgyud bzhi Translation Department des Men-Tsee-Khang, die in der neuen Auflage publizierten Überarbeitungen in meiner Übersetzungstätigkeit mit berücksichtigt. Der Titel der 2. englischen Auflage trägt den Titel The Basic Tantra and The Explanatory Tantra of Tibetan Medicine.

Die rgyud bzhi sind sicherlich der bedeutendste Text der tibetischen Medizin. Sie dienen seit dem 12. Jahrhundert als Grundlagentext in der Ausbildung der tibetischen Ärzte und werden noch heutzutage von angehenden Medizinern teilweise auswendig gelernt.
Dementsprechend hat es mich mit großer Freude erfüllt, von Dr. Dawa, dem damaligen Direktor des Men-Tsee-Khang, anlässlich eines Studienaufenthaltes in Dharamsala im Sommer des Jahres 2009 mit der ehrenvollen Aufgabe betraut zu werden, dieses Werk übersetzen, überarbeiten und in deutscher Sprache herausgeben zu dürfen.
Mit großer Dankbarkeit, aber auch viel Hochachtung, habe ich diesen Vorschlag angenommen!

Um sowohl der bereits geleisteten Übersetzungsarbeit des Translation Department des Men-Tsee-Khang den gebührenden Respekt zu erweisen, als auch dem tibetischen Quellentext möglichst nahe zu kommen, wurde folgende Herangehensweise gewählt:
Zu Beginn hat Frau Mag. Ursula Derx die englische Version, die 2008 vom Men-Tsee-Khang herausgegeben wurde, in die deutsche Sprache übersetzt. Dieser Text wurde daraufhin von mir mit Hilfe des tibetischen Orginaltextes sowie diverser rgyud bzhi-Kommentare in intensiver Weise überarbeitet. Ich habe versucht, dem Orginaltext möglichst zu entsprechen, und dennoch für die Leser des nun vorliegenden Textes nicht nur eine gute Lesbarkeit, sondern auch ein gutes Verständnis zu ermöglichen. Dabei war es von entscheidender Bedeutung, mit den tibetischen Primärquellen zu arbeiten, um eine gute Übersetzungsarbeit für dieses so wichtige Werk leisten zu können.
Hauptsächlich wurden dabei drei der noch heute benutzen rgyud bzhi -Kommentare als Informationsquelle benutzt: (1) der Blaue Beryl von dem Regenten des V. Dalai Lama, bedeutenden Politker, Historiker und Medizinschriftsteller Desi Sangye Gyatso (1653-1705), (2) der -Kommentar zum des tibetischen Arztes der Zurkhar-Tradition, Kyempa Tsewang (15. Jh.), verfasst im Jahr 1479, und (3) der bedeutenste rgyud bzhi-Kommentar des vergangenen Jahrhundertes, die Mündliche Unterweisungen der Weisen von Khenpo Troru Tsenam (1928-2004).

Die übersetzten Fußnoten der englischen Version befinden sich jeweils im unteren Bereich der entsprechenden Seite. Zudem habe ich zahlreiche Anmerkungen, die sowohl dem besseren Verständnis des Materials dienen, als auch zusätzliche Informationen geben, jeweils am Ende der Kapitel aufgeführt.

Nach Absprache mit dem Men-Tsee-Khang habe ich mir erlaubt, sämtliche im hinteren Teil des Buches befindlichen Stichwortregister, Literaturverzeichnise, etc. komplett zu überarbeiten.

Der in Versform verfasste tibetische Text der rgyud bzhi weist an einigen Stellen mittelalterliche Worte auf, die in den herkömmlichen Lexika nicht zu finden sind. Durch die Versform des Textes bedingt fehlen an manchen Stellen für die Übersetzung und Interpretation grammatikalisch wichtige Silben oder ganze Satzteile (Jäger 1999: 7). Das erschwert natürlich die Übersetzung und bedarf zusätzlicher Kommentare.

An dieser Stelle sei festgehalten, dass die Übermittlung des Textes bei den Tibetern traditionell, wie der Titel schon sagt, durch eine geheime mündliche Unterweisung stattfand. Dieser Begriff hat in der tibetisch-buddhistischen Tradition eine umfassende Bedeutung. Als geheime mündliche Unterweisung werden religiöse, und auch medizinische Belehrungen bezeichnet, die in ihrer vollständigen Bedeutung nur mündlich weitergegeben werden können, da sie die Herzessenz aus dem persönlichen Erfahrungsschatz des Lehrers übermitteln. Die rgyud bzhi waren als Erinnerungsstütze nach einer solchen Art der Belehrung konzipiert und ursprünglich nicht dafür gedacht, dass man sie ohne mündliche Belehrung verstehen kann (Jäger 1999: 8).
Somit kann das nun vorliegende Werk als Grundlage einer Ausbildung dienen, nicht jedoch die Ausbildung durch tibetische Mediziner ersetzen.

Ich habe versucht, bei der Übersetzung tibetischer Krankheitsbezeichnungen auf Begriffe der westlichen Biomedizin zu verzichten. Stattdessen wurden diese Bezeichnungen wörtlich bzw. erklärend übersetzt. Tibetische Krankheiten werden mit entsprechenden Ursachen, Diagnosemethoden inklusive des Urin- und Pulsbefundes, Symptomen, oft sogar diversen Untergruppen, etc. präzise beschrieben. Nur weil es in Teilbereichen Übereinstimmungen mit schulmedizinischen Krankheitsbildern gibt, bedeutet das ja nicht, dass sie identisch sind. Auf naheliegende, aber nicht vollständig korrekte Begriffe zurückzugreifen, beinhaltet eine starke Simplifizierung und auch, dass man beiden System nicht gerecht wird.

Trotz der vorhandenen Literatur gibt es für viele tibetische, medizinische Begriffe - beispielsweise für verschiedene Pulsqualitäten, aber auch Krankheitsbilder - keine einheitlichen Übersetzungsvorschläge. An dieser Stelle sei kurz angemerkt, dass das Thema der einheitlichen Übersetzung natürlich ein zu diskutierendes ist, da es unter anderem vom Kontext abhängt, wie tibetische Fachbegriffe übersetzt werden.
Das vorliegende Werk kann somit als Grundlage für weitere Diskussionen dienen. Sicherlich wird auf diesem Gebiet in Zukunft verstärkt gearbeitet bzw. geforscht werden. Anregungen, Kritik, Korrekturen, etc. sind erbeten und durchaus erwünscht!

Um ein besseres Verständnis zu gewährleisten und weitere Forschungsarbeit zu erleichtern, wurde bei vielen Begriffen - anders als in der englischen Ausgabe - eine Transliteration der tibetischen Worte angeführt.
Hierbei wurde das von Turrell Wylie entwickelte System verwendet (Wylie 1959: 261-276). Dieses System ermöglicht ein leichtes Auffinden der tibetischen Begriffe in den diversen (auch digitalen) Wörterbüchern.
Im Unterschied zu der verbreiteten Vorgangsweise, den Grundbuchstaben von Worten, die Eigennamen, Orte, Werke, etc. repärsentieren, groß zu schreiben, wurden sämtliche Transliteration in Form von Kleinbuchstaben angegeben. Da der Großteil der transliterierten tibetischen Begriffe sich auf Pflanzennamen, Krankheitsbezeichnungen, Eigennamen von Personen, etc. bezieht, hielt ich es nicht für notwendig, diese durch die Verwendung von Großbuchstaben hervorzuheben.

Das ausführliche Vorwort des Men-Tsee-Khang befasst sich mit geschichtlichen Aspekten der tibetischen Medizin und zählt speziell die bedeutensten Vertreter der tibetischen Medizin auf. Bei der Übersetzung des Vorwortes wurden alle Namen und tibetischen Fachbegriffe in Wylie transliteriert und auf den tibetischen Originaltext, auf dem das Vorwort basierte, zurückgegriffen (rtsom sgrig yu yon lhan khang 1990).

Christa Kletter und Monika Kriechbaum haben die bei der Übersetzung der Pflanzennamen auftretenden Schwierigkeiten in ihrem Vorwort des Werkes Tibetan Medicinal Plants, an dem u.a. auch Dr. D. Dawa und Dr. Tsering Dorjee Dekhang vom Men-Tsee-Khang mitgewirkt haben, verdeutlicht: As can be seen in several monographs, different species and even species of different genera or families are collected under a single Tibetan name (Kletter und Kriechbaum 2001: X).
An diesem Thema Interessierte sei die Arbeit von Z.I. Zhao et al. empfohlen (Z.I. Zhao 2010: 122 126).

Tibetischen Pflanzenbezeichnungen einen eindeutigen lateinischen Namen zuzuordnen ist problematisch, weil tibetische Klassifikationen in erster Linie nach Geschmack und (medizinischer) Wirkraft vorgenommen werden und nicht nach botanischen Gesichtspunkten, wie heute bei uns üblich (Jäger 1999: 135).
Mia Molvray hat bereits 1988 ein Verzeichnis tibetischer Heilpflanzen erstellt und beschreibt darin u.a. folgende Fehlerquellen bei der Identifikation tibetischer Heilpflanzen.
Anbei eine von mir verfasste Zusammenfassung:
1. Es gibt starke regionale Variationen im Gebrauch der Pflanzen. In sehr hohen Regionen werden sogar Steine als Substitute verwendet und dennoch der gleiche Name beibehalten.
2. Tibetische Beschreibungen und Zeichnungen sind oft zu wage für eine eindeutige botanische Zuordnung.
3. Unterschiedliche Teile ein und derselben Pflanze haben unterschiedliche tibetische Namen.
4. Die Sammlungen werden oft nicht von Botanikern durchgeführt und die Angaben bzgl. Fundort der Pflanze, des tibetischen Namens und der Anwendbarkeit sind unvollständig.
5. Fehler bei der Identifikation des tibetischen Namens passieren am ehesten, wenn ein Informant, der es gewohnt ist, mit frischem Material im Feld zu arbeiten, getrocknete Exemplare außerhalb ihrer natürlichen Umgebung gezeigt bekommt.
6. Eine weitere Fehlerquelle ist die Ungenauigkeit der tibetischen Buchstabierung. Es kann mehrere Schreibweisen für ein Wort geben, von denen keine als falsch angesehen wird (Molvray 1988: 3ff).

Des weiteren geben tibetische Quellen - im Unterschied zu Quellen der TCM - nicht an, welche Teile der Pflanze, wie z. B.: Radix, Herba, Fructus, Semen, etc. verwendet werden.

Nach intensiven Gesprächen - speziell mit Dr. Tsultrim Kalsang vom Materia Medica Department des Men-Tsee-Khang - bzgl. der Vorgangsweise habe ich mir trotz der beschriebenen Schwierigkeiten erlaubt, bei den im Text vorkommenden Pflanzen neben einer Transliteration der tibetischen Bezeichnungen auch botanische Namen anzuführen. Dies wurden unverändert von der englischen Version des Men-Tsee-Khang übernommen und sind im hinteren Teil des Buches zu finden.

Für die vorliegende Übersetzung wurden hauptsächlich folgende Wörterbücher zu Rate gezogen:
The New Tibetan-English Dictionary Of Modern Tibetan (Goldstein 2004), Glossary of Standardised Terms (Department of Education/CTA, Termiology Project 2009), Glossary of Standardised Terms, Serial 2 (Department of Education/CTA, Termiology Project 2010), Glossary of Standardised Terms, Serial 3 (Department of Education/CTA, Termiology Project 2011), das Tibetan-English Dictionary of Tibetan Medicine and Astrology (Drungtso 2005), die in tibetischer Sprache erschienenen Werke Das große dung dkar Tibetisch-Chinesisch Wörterbuch mit dem tibetischen Titel dung dkar tshig mdzod chen mo (dung dkar blo bsang phrin las 2002b), Das große Wörterbuch der tibetischen Heilkunde mit dem tibetischen Titel bod lugs gso rig tshig mdzod chen mo (bod rang skyong ljongs sman rtsi khang 2006) sowie Das große Tibetisch-Chinesisch Wörterbuch mit dem tibetischen Titel bod rgya tshig mdzod chen mo (krang dbyi sun 2003).
Darüber hinaus kam das Rangjung Yeshe Tibetan-English Dictionary in seiner im Internet zugänglichen Form (Nitharta internatioal 2010), sowie die online Wörterbücher der THL Webseite (THL 2010) zur Anwendung.

Für die botanischen Namen der Pflanzen dienten, wie oben beschrieben, diverse Informationsquellen. Die Wichtigsten waren: Tibetan Medicinal Plants (Kletter und Kriechbaum 2001), A Clear Mirrow of Tibetan Medicinal Plants, First bzw. Second Volume (Dawa 1999 bzw. 2009), Tibetan Medicine (Molvray 1988), das Dictionary Of Tibetan Materia Medica (Yonten 1998), sowie die in tibetischer Sprache erschienenen Bücher bod kyi gso rig dang a yur we dha krung dbyii sman gzhung bcas las bstan bi skye dngos sman rdzas kyi dpar ris dang lag len btus von Dr. Tsultrim Kalsang (tshul khrims skal bzang 2008) und khrungs dpe dri med shel gyi me long von Gawa Dorje (dga bai rdo rjes 1995).

Die nun in deutscher Sprache vorliegende rgyud bzhi Übersetzung des Men-Tsee-Khangs und auch dieses Buch basieren auf einer Abschrift eines Holzdruckes der rgyud bzhi aus dem Jahr 1892, die unter der Bezeichnung Chakpori-Holzdruck bekannt ist. Die in der Version des Jahres 1892 enthaltenen Fehler wurden, wie bei Tibetern traditionell üblich, aus Respekt vor den alten Texten unverändert übernommen.
Im Jahr 2009 hat DDr. E-pa Sonam Rinchen, der Studienabschlüsse sowohl in Tibetischer Medizin als auch Astrologie aufweisen kann, ein interessantes Buch herausgegeben. Im 7. Kapitel dieses Werkes geht er auf die im rgyud bzhi enthaltenen unklaren Punkte bzw. Fehler ein und erläutert deren wahre Bedeutung (ye pa bsod nams rin chen 2009: 165-199).

Es wäre wünschenswert, wenn sich in Zukunft Arbeitsgruppen bilden würden, bestehend aus tibetschen Ärzten der verschiedenen Ausbildungsstellen bzw. Traditionen innerhalb der heutigen Autonomen Region Tibets, Amdo und Kham, sowie im Exil, westlichen Mediziner sowie Tibetologen, um einheitliche englische und deutsche Begriffe für die zahlreichen tibetischen Fachausdrücke zu definieren.

Danksagung

Mein herzlicher Dank gilt ...

... Seiner Heiligkeit, dem XIV. Dalai Lama. Möge Er ewig leben!

... Mag. Ursula Derx für ihre erste Version der Übersetzung. Sie hat meine Arbeit ungemein bereichert!

... Dr. Tsewang Tamdin, Direktor des Men-Tsee-Khang ab 1.4.2010. Er hat mich bereits Jahre zuvor ermuntert, diesen wunderbaren Text zu übersetzen.

... Dr. Dawa, Direktor des Men-Tsee-Khang in den Jahren 2004 bis 2010. Er hat die vorliegende Übersetzung möglich gemacht.

... Dr. Tsering Wangdue, Lecturer of the Tibetan Medicine College des Men-Tsee-Khang, für seinen freundschaftlichen, täglichen Privatuntericht während meiner insgesamt 19 Monate dauernden Aufenthalte in Dharamsala.

... Dr. Barbara Gerke, Humboldt Universität zu Berlin, für ihre überaus willkommenen, kritischen sowie konstruktiven Anregungen. Sie hat durch ihre Tätigkeit meine Arbeit bereichert und die Qualität des nun vorliegenden Werkes gehoben. Darüber hinaus sei ihr für das umfangreiche, wunderbare Vorwort für diese deutsche Version gedankt, in dem Sie feinsinnig zahlreiche interessante Themen erläutert sowie Anregungen bringt.

... Seiner Heiligkeit, dem XVII. Karmapa Orgyen Trinley Dorje. Er hat mir bereits vor seiner Flucht in das indische Exil im Jahr 1998 in seinem Kloster in Tsurphu nahe Lhasa in überaus großzügiger Weise sowohl Medizin Buddha-dbang (Empowerment), als auch -lung (Oral transmission) und -khrid (Instruction) erteilt. In den folgenden Jahren durfte ich durch Tenga Rinpoche in Kathmandu; Tsetrul Rinpoche im Nechung-Kloster in Dharamsala; Trogawa Rinpoche (1932-2005), damals Direktor des Chagpori Tibetan Medical Institute in Darjeeling; Thrangu Rinpoche in Wien sowie Dzogchen Ponlop Rinpoche in Südfrankreich zusätzliche, vertiefende dbang, lung, khrid erhalten.

... Herrn Erwin Perlinger bzw. der ReformhausMarketing GmbH für die großzügige finanzielle Unterstützung. Sie hat dazu beigetragen, dieses Projekt Wirklichkeit werden zu lassen.

... dem Central Council of Tibetan Medicine der Exilregierung in Dharamsala für die freundliche Zustimmung zu diesem Projekt.

... Ass. Prof. Dr. Christa Kletter vom Institut der Pharmakognosie der Universität Wien für das überaus hilfreiche zur Verfügung stellen des Glossary of Tibetan Medical Terms aus dem Buch Tibetan Medicinal Plants.

... Dr. Thokmay Paljor, Chief Translator des rgyud bzhi Translation Department des Men-Tsee-Khang, sowie den beiden Assistent Translators, Dr. Passang Wangdu und Dr. Sonam Dolma, für ihre gemeinsam geleistete Pionierarbeit sowie zahlreiche Hilfeleistungen.

... Dr. Pema Dorjee, Leiter des Sorig Literary Research Department des Men-Tsee-Khang, für seine beratende Tätigkeit. Ihn habe ich immer dann konsultiert, wenn alle anderen zur Verfügung stehenden Quellen kein klares Ergebnis erbringen konnten.

... Herrn Tenzin Geyche Tethong, ehemaliger persönlicher Sekretär des XIV. Dalai Lama, für seine großartige Hilfe.

... Prof. Dr. Tsering Thakchoe Drungtso, Vorstand des Central Council of Tibetan Medicine, für seine hervorragende Arbeit im rgyud bzhi Translation Department des Men-Tsee-Khang.

... Prof. Dr. Klaus-Dieter Mathes vom Institut für Südasien-, Tibet- und Buddhismuskunde der Universität Wien für seine Bereitschaft, das Thema rgyud bzhi als meine Masterthesis (Diplomarbeit) der Studienrichtung Tibetologie anzuerkennen sowie zu betreuen. Er hat mich mit großem Einsatz und ebenso großer Geduld fachlich hervorragend geleitet.

... Frau Univ. Prof. Karin Preisendanz sowie Dr. Kurt Tropper vom Institut für Südasien-, Tibet- und Buddhismuskunde der Universität Wien für die von ihnen erbrachten, wunderbaren Hilfeleisungen.

... Acharya Thubten Puntsok, Bibliothekar der LTWA - Library of Tibetan Works & Archives, für seinen täglichen Sprachunterricht während meiner Aufenthalte in Dharamsala. Er war darüber hinaus immer wieder in der Lage, schwer erhältliche Texte aus Tibet zu besorgen.

... dem Team der LTWA - Library of Tibetan Works & Archives unter der Leitung von Geshe Lhakdor für zahlreiche Hilfeleistungen, insbesondere das zur Verfügung stellen mehrerer Kommentare der rgyud bzhi sowie weiterer schwer zu beziehende Werke, die sich mit dem Thema Tibetische Medizin befassen. Besonders hervorgehoben seien an dieser Stelle Frau Nyima Dekyi, sie ist für den Tibetisch-Unterricht der LTWA verantwortlich, sowie Acharya Sangye Tandar Naga, Leiter der Cultural Research and Publications-Abteilung. Beide sind immer wieder als überaus kompetente, niemals enden wollende Quellen des Wissens zur Verfügung gestanden.

... Frau Dr. Tsering Choedon, Leiterin des Astrological Department des Men-Tsee-Khang, für ihre Hife bei der Übersetzung im rgyud bzhi vorkommender astrologischer Begriffe.

... Geshe Thubten Jinpa, langjähriger Übersetzer Seiner Heiligkeit, des XIV. Dalai Lama. Er hat feinfühlige Anmerkung sowie Empfehlungen bzgl. der Übersetzung gegeben.

... Herrn Tseten Dorjee, Personal Assistent des Direktors des Men-Tsee-Khang. Immer wieder hat er, bedingt durch sein Wissen über die Abläufe im Men-Tsee-Khang sowie der Exilregierung, in den letzten Jahren dazu beigetragen, Projekte Realität werden zu lassen.

... Dr. Tsultrim Kalsang vom Materia Medica Department des Men-Tsee-Khang für seine beratende Tätigkeit.

... Herrn Aang Dandi Sherpa in Kathmandu für seine Hilfe bei der Übersetzung buddhistischer Fachausdrücke.

... Ursula Ploberger für das Korrekturlesen des Textes.

... Mag. Walter Fehlinger vom Bacopa-Verlag für unsere langjährige, freundschaftliche Zusammenarbeit.

... Frau Elfi Kochwalter für die kontinuierliche Unterstützung bei der Niederschrift dieses Buches.

In der Hoffnung, den Ansprüchen der interessierten Leser/Innen gerecht zu werden, verbleibe ich in tiefer Dankbarkeit, mich intensiv mit diesem Text beschäftigt haben zu dürfen,

Florian Ploberger
Dharamsala, im September des Metall-Hasen Jahres 2011

Einleitung

Sprache ist ein Prozess der freien Schöpfung;
ihre Gesetzmäßigkeiten und Grundsätze sind fest vorgegeben,
aber die Art und Weise, wie die Erzeugungsgrundsätze
angewendet werden, ist frei und unendlich vielfältig.
Noam Chomsky

Diese Publikation ist eine deutsche Übersetzung der beiden ersten der Vier Tantras, tibetisch kurz Gyüschi (rgyud bzhi).1 Die zweisprachige Darstellung (tibetisch-deutsch) stellt einen wichtigen Schritt in Richtung einer vollständigen Übersetzung aller Vier Tantras dar, die bis heute in keiner einzigen europäischen Sprache erschienen ist.2 Dies erscheint unerwartet. Immerhin ist die Tibetische Medizin neben Ayurveda und Chine-sischer Medizin als eines der grundlegenden asiatischen Medizinsysteme anerkannt, mit einer Unmenge an medizinischer Literatur, der auf der ganzen Welt wissenschaftliches Interesse gilt. Warum erscheint dieses Standardwerk der Tibetischen Medizin erst zur Wende des 21. Jahrhunderts, obwohl die Tibetische Medizin seit dem frühen 19. Jahrhundert von westlichen Gelehrten studiert wurde (Köros 1835)? In dieser kurzen Einleitung möchte ich einige Antworten zu dieser Frage anbieten, indem ich manch wichtige Punkte hervorhebe, die seine Übersetzung zu einer so beängstigenden Aufgabe machten, dass die meisten Wissenschaftler der Vergangenheit sie vermieden haben. Allerdings wurde die Übersetzung der ersten zwei Tantras oder von einigen Kapiteln vorgenommen.3 Ich hoffe, dass die Leserschaft sich mithilfe dieser Einleitung zu dieser Übersetzung der Vier Tantras mit diesem Grundsatzwerk der Tibetischen Medizin auf geeignete Art auseinandersetzen kann, einschließlich all seiner Feinheiten und trotz der manchmal eigenartigen sprachlichen Anwendung.

Lernen vollzog sich in Tibet (wie in vielen Teilen Asiens) charakteristischerweise durch das Auswendiglernen großer Textmengen, was auch heute noch so gehandhabt wird. Das Auswendiglernen und Rezitieren eines Wurzeltextes wurde durch mündliche Instruktionen sowie schriftliche Kommentare weiter verfeinert. Immer noch verbringen Studenten der Tibetischen Medizin einige Jahre mit dem Auswendiglernen von zumindest drei der Vier Tantras, rezitieren diese bei mündlichen Prüfungen und schreiben diese bei schriftlichen Prüfungen zusammen mit Erläuterungen aus dem Gedächtnis nieder. Im alten Tibet hatte oft nur der Lehrer eine handgeschriebene oder gedruckte Kopie des Textes, während sich die Studenten den mündlich vorgetragenen Text durch Auswendiglernen verinnerlichten. Tibetische Werke wurden zumindest seit Mitte des 12. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung gedruckt (Schaeffer 2009:9), jedoch wurde die verbreitete und teure Drucktechnik mit hölzernen Druckklischees erst im 15. Jahrhundert aus China eingeführt. Daher war das Auswendiglernen neben handschriftlichen Kopien, welche häufig verwendet wurden, nicht nur ein wichtiges Merkmal mündlicher Belesenheit, sondern auch eine praktische Möglichkeit, seine Bibliothek jederzeit im Kopf mit sich zu führen. Das moderne tibetische Schulwesen und die Verfügbarkeit von gedruckten und elektronisch gespeicherten Texten der Tibetischen Medizin haben die mündliche Überlieferung auswendig gelernter Wurzeltexte bis jetzt nicht ersetzt (siehe Millard 2002).

Es ist die Besonderheit der Vier Tantras, die ihr Auswendiglernen auf mehrere Arten erleichtert. Zwei davon möchte ich hervorheben.

Erstens ist der Text in einem poetischen Versmaß verfasst und besteht zumeist aus Zeilen mit je neun Einzelsilben. Die 5.900 Verse sind zum Teil verschlüsselt und ohne Erklärung durch einen qualifizierten Lehrer, der idealerweise mündliche Unterweisungen erhalten hat, nicht verständlich. Einige der Verse werden als geheim angesehen und wurden niemals niedergeschrieben. Auch wird es als vorteilhaft angesehen, wenn der Lehrer ein gewisses Maß an medizinisch-religiösen Dimensionen aufweist, die im Text beschrieben werden, wie die mitfühlende Haltung eines Arztes.4 Um das poetische Maß beizubehalten, fehlen oft auch Wörter, oder es sind manche medizinische Begriffe nur durch eine einzige Silbe dargestellt. Detaillierte Kommentare und von einem Lama (spirituellem Lehrer) erhaltene mündliche Unterweisungen werden für das Verständnis des Wurzeltextes entscheidend angesehen. Sogar Tibeter mit guten Kenntnissen der tibetischen Sprache haben Schwierigkeiten, die genaue Bedeutung der Vier Tantras ohne entsprechende Erläuterungen einzuschätzen, obwohl sie die wörtliche Bedeutung jedes Wortes des Wurzeltextes verstehen. Die mit biomedizinischer Literatur voll lateinischer Fachbegriffe vertraute Leserschaft kann mit den Studenten der Tibetischen Medizin mitfühlen, umso mehr, wenn man sich vorstellt, dass die lateinischen Wörter manchmal nur mit einer Silbe dargestellt werden, um dem poetischen Maß eines Satzes entgegenzukommen.

Zweitens kommt die Struktur der sechs Hauptbereiche und der Kapitel der Vier Tantras dem Auswendiglernen entgegen. Diese sechs Hauptbereiche sind: vier Tantras, acht Zweige, elf Abschnitte, 15 Sparten, vier Zusammenfassungen und 156 Kapitel (siehe Tabelle 1). Diese Struktur machen den Text übersichtlich, und die Studenten können den Text anhand derer auswendig lernen, rezitieren und inhaltlich verstehen.

Man kann sich leicht vorstellen, dass die poetische Komponente der Vier Tantras die Übersetzung in eine europäische Sprache zu einer herausfordernden Aufgabe macht. Auch muss sich der Übersetzer mit dem klassischen Tibetisch auseinandersetzen, das sich von der gesprochenen Sprache ziemlich deutlich unterscheidet. Es enthält Stilkomponenten, die bis ins 12. Jahrhundert zurückreichen.5 Bei der Übersetzung muss auch entschieden werden, wie viele der Fachbegriffe zu übersetzen sind, die im Laufe der Zeit im Kontext der Tibetischen Medizin eine spezielle Bedeutung erlangt haben. Solche Begriffe wurden ursprünglich oft aus dem Sprachgebrauch des Tibetischen entnommen, eine wörtliche Übersetzung würde für die Leserschaft unverständlich sein.

Um diese Transformation des gesprochenen Wortes in einen Fachbegriff mit einer speziellen Bedeutung zu verstehen, müssen wir uns näher ansehen, wie medizinische Ausdrücke in der tibetischen Sprache entstanden sind und noch heute entstehen. Im Laufe der Zeit wurden viele Fachbegriffe aus verschiedenen Sprachen und kulturellen Bereichen ins Tibetische übernommen (Gaffney 2000). Die tibetische Sprache ist grundsätzlich einsilbig strukturiert, wobei jede Silbe eine eigene Bedeutung hat. Die meisten Silben haben eine von dem zusammengesetzten Wort (Morphem), in dem sie vorkommen, unabhängige Bedeutung. Diese Silbenstruktur bietet eine ungeheure Flexibilität sowohl für das Ausdrücken neuer Ideen und Konzepte als auch für die Benennung alter Vorstellungen auf neue und originelle Art. (Goldstein 1984: xi). Diese sprachliche Eigenart ermöglichte es tibetischen und indischen Übersetzern, vollkommen neue zusammengesetzte Wörter als Entsprechungen für Ausdrücke aus dem Sanskrit zu bilden. Dies geschah hauptsächlich während der zwei wichtigsten Übersetzungsperioden (ungefähr 9.10. und 11.12 Jahrhundert unserer Zeitrechnung), als es in erster Linie buddhistische Texte gab, die von Übersetzerteams und Redakteuren aus dem Sanskrit ins Tibetische übersetzt wurden. Bald entstanden Sanskrit-Tibetisch-Wörterbücher gleichbedeutender Ausdrücke. Bei den Übersetzungen wurde eine solche Genauigkeit erzielt, dass die tibetische Sprache innerhalb von 200 Jahren ihrer Entstehung ein Mittel zur Übersetzung einiger der raffiniertesten und komplexesten Gedanken und Ideen des indischen Buddhismus wurde (Gaffney 2000: 5). Dies geschah durch die Schaffung einer speziellen tibetischen Sprache, die sich vom gesprochenen Tibetischen erheblich unterschied. Laut Gaffney waren die dafür benutzten Methoden das Schaffen von Entlehnungen bzw. Lehnübersetzungen, um die genaue Bedeutung des indischen Ausgangsbegriffs ohne Einführung von Annahmen oder Nebenbedeutungen aus dem Tibetischen zu übertragen (Gaffney 2000: 11). Nur für Gleichnisse und Metaphern wurde eine Art von Umschreibung eingesetzt. Das Ziel dieser Methode war es, eine dem Ausgangstext möglichst getreue und genaue Übersetzung herzustellen (Gaffney 2000: 11). Tibeter waren vorbehaltlos der Meinung, dass die wörtliche Übersetzung eines Textes ipso facto eine getreue Wiedergabe des Ausgangstextes ist (Gaffney 2000: 11). Ihre Übersetzungen wurden so genau durchgeführt, dass man aus der tibetischen Version etwaige im Sanskrit verloren gegangene Texte rekonstruieren kann. Die Übersetzungsmethoden indischer buddhistischer Texte aus dem Sanskrit wurden auch für die Übersetzung medizinischer Texte angewandt. Der indische Ayurveda-Arzt Bhagwan Dash verbrachte viele Jahre mit der Wiederherstellung seiner Meinung nach verlorener Sanskrit-Texte aus den tibetischen Vier Tantras (Dash 19942001). Diese Rückübersetzung beweist jedoch nicht die geschichtliche Existenz einer uralten Sanskrit-Version der Vier Tantras, welche bisher nicht gefunden wurde (siehe Yan Ga, in Kürze erscheinend).

Wir sollten jedoch bei aller Ausrichtung auf Übersetzungen aus dem Sanskrit nicht vergessen, dass medizinische Texte in der Geschichte der Tibetischen Medizin offensichtlich aus griechisch-arabischen, zentralasiatischen und chinesischen Quellen übersetzt wurden obgleich keine davon erhalten blieb (siehe Beckwith 1979; Garrett 2009; Taube 1980, 1981). In Zukunft sind jedoch in den Dunhuang-Texten weitere Entdeckungen zu erwarten, mit deren Hilfe uns die in frühen Übersetzungen verwendeten Methoden verständlicher werden könnten.6

Was als sicher angesehen werden kann, ist die Tatsache, dass der einsilbige Charakter der tibetischen Sprache sowohl die Übersetzung als auch die Schaffung medizinischer Begriffe erleichtert hat. Dies war nicht nur in der Vergangenheit der Fall, als die Tibetische Medizin durch medizinische Wissen, Praktiken und Texte aus den Nachbarländern bereichert wurde, sondern zeigte sich auch in jüngster Zeit bei der Bildung zeitgenössischer medizinischer Fachbegriffe. Da die Tibeter mit der westlichen Wissenschaft und Biomedizin Kontakt hatten, bot der einsilbige Charakter der Sprache den tibetischen Ärzten die Möglichkeit, eine Reihe von neuen wissenschaftlichen und medizinischen Begriffen ins moderne Tibetische aufzunehmen und damit biomedizinische Überlegungen in ihr medizinisches Wissen einfließen zu lassen.7 Diese Einsilbigkeit, die die Schaffung neuer Begriffe im Tibetischen aber so leicht möglich macht, ist der Hauptgrund für die extreme Schwierigkeit der Übersetzung klassischer Tibetischer Medizintexte in moderne Sprachen, wie unten angeführte Beispiele zeigen.

Wie wurden medizinische Fachbegriffe durch die Zusammensetzung einzelner Silben im Tibetischen geschaffen? Sehen wir uns einige Beispiele an. Me drod, der Fachbegriff für Verdauungshitze ist ein zusammengesetztes Wort aus den Silben me mit der Bedeutung Feuer und drod, was Wärme bedeutet. Eine wörtliche Übersetzung Feuer-Wärme ergibt jedoch in einem Satz über den Verdauungsprozess oder über eine Nierenkrankheit mit Bezug zur Verdauungshitze keinen Sinn. Bei der Zusammensetzung von Wörtern benutzten die Tibeter oft umgangssprachliche Ausdrücke, die zu Fachwörtern wurden, um komplexe therapeutische Prozesse zu beschreiben: Zum Beispiel wurde etwas dagegen drücken (dugs pa) ein Fachbegriff für eine therapeutische Methode zur Anwendung heißer Umschläge, und milde Flüssigkeit (jam rtzi) erhielt die medizinische Bedeutung Abführmittel.

Diese Schwierigkeit wurde bereits in den 1930er Jahren von Eugne Obermiller beschrieben. Er argumentierte, dass die der Bedeutung der tibetischen Medizinbegriffe zugrunde liegenden Epistemologien in einem wörtlichen Übersetzungsprozess verloren gehen könnten, besonders da ein streng philosophischer Zugang oft die lebendige mündliche Überlieferung außer Acht lässt (1989 1935: 15). Wörtliche Übersetzungsbemühungen haben tatsächlich oft in die Benutzung von Begriffen gemündet, die den tibetischen Medizinfachbegriffen eine missverständliche Bedeutung angedeihen ließen (Obermiller 1989 1935: 1617). Diese Mehrdeutigkeit findet sich hauptsächlich bei komplexen medizinischen Fachbegriffen. Wörtliche Übersetzungen der medizinischen Grundbegriffe, wie mchin pa für Leber, sind üblich und richtig, obwohl die biomedizinische Auffassung über Physiologie und Funktion des Organs sich von der tibetischen erheblich unterscheiden kann.
Auch ist zu berücksichtigen, dass in den medizinwissenschaftlichen Systemen Asiens Fachbegriffe oft mehrere Bedeutungen haben können. Hsu zeigt anhand eines chinesischen Textes, dass die Bedeutung ein und desselben medizinischen Fachbegriffs je nach klinischem und privatem Kontext variieren kann. Sie führt aus, dass die Bedeutung eines Fachbegriffs, der aus diesen medizinwissenschaftlichen Traditionen8 hervorgeht, immer mehrdeutig ist und vom Kontext, in dem sie verwendet werden, abhängen (Hsu 2000: 219). Ein Beispiel aus der Tibetischen Medizin ist der Begriff rtsa. Im Kontext der Anatomie bezieht sich rtsa auf alle Arten von Kanälen, die Blut (khrag), Wind/Atmung (rlung) und Wasser (chu; chui rtsa wird oft mit Nerven übersetzt), aber auch den Geist (sems), Nährstoffe und Ausscheidungsprodukte transportieren (Gerke, im Druck); im diagnostischen Sprachgebrauch bezeichnet rtsa den Puls, der an der Speichenschlagader palpiert wird. Die Bedeutung des Begriffs änderte sich auch im Laufe der Zeit. Die erste dokumentierte Erwähnung von rtsa im medizinischen Kontext findet sich in den tibetisch medizinischenTexten von Dunhuang des 8. bis 10. Jahrhunderts, wo rtsa sich hauptsächlich auf die Praxis des Aderlasses bezieht (Yan 2007: 302). Je nach Zusammenhang wurde rtsa dementsprechend übersetzt.

Auch mündliche Überlieferungen ändern sich im Laufe der Zeit. Selbst für tibetische Ärzte können manche Aspekte aus den Vier Tantras heute nicht mehr sinnvoll erscheinen, da sie nicht mehr praktiziert werden, oder wie im Fall der materia medica heute unter einem anderen Name bekannt sind und anders angewendet werden als im alten Tibet.

Wie sollen Übersetzer der tibetischen medizinischen Texte mit diesen Schwierigkeiten richtig und sensibel umgehen? Nicht nur wegen der Mehrdeutigkeit vieler medizinische Begriffe, sondern auch, um den lebenden mündlichen Überlieferungen gerecht zu werden, die bei einer wörtlichen Übersetzung verloren gehen könnten, ist es von Vorteil, wenn die Übersetzer entweder selbst in der Tibetischen Medizin ausgebildet sind (wie im Fall der tibetischen Ärzte, die an der englischen Übersetzung des Men-Tsee-Khangs arbeiteten) oder laufend mit praktizierenden tibetischen Ärzten zusammenarbeiten (wie es im Fall dieser deutschen Ausgabe geschah). Es kommt wohl selten vor, dass jemand sowohl in der klassischen tibetischen Sprache und Philologie als auch in der Tibetischen Medizin ausgebildet ist. Daher ist interdisziplinäre Zusammenarbeit gefragt, wie sie über Jahrhunderte der intensiven Übersetzungstätigkeit in Tibet üblich war, als indische panditas (Gelehrte) und cryas (Lehrer), Übersetzer (lo tsa ba), Lektoren und Redakteure sich zu Übersetzerteams zusammenschlossen.

Ein einfaches und häufiges Beispiel, wie die medizinische Bedeutung bei einer wörtlichen Übersetzung verloren gehen kann, sind die drei nyepa (nyes pa), die ins Tibetische mit loong (rlung Wind), tripa (mkhris pa Galle) und baekan (bad kan Schleim) übertragen wurden. Ihre englischen Entsprechungen wind, bile, und phlegm Wind, Galle und Schleim sind wohl richtig, dürfen aber nicht wörtlich genommen werden. Die drei nyes pa sind ein umfassendes Konzept, sie sind nicht auf ein einziges Wort in einer europäischen Sprache zu reduzieren. Schleim ist zum Beispiel nicht nur Schleim, der aus der Lunge ausgehustet wird, sondern ein Begriff für alle Aspekte des Körpers, die von den Elementen Wasser und Erde bestimmt werden, also alles, was kühl und klebrig ist, dem Körper sowohl Festigkeit als auch Feuchtigkeit gibt. Eine wörtliche Übersetzung der drei nyes pa hat daher immer einen eurozentrischen Anstrich, da sie die Mehrdeutigkeit des tibetischen Begriffs außer Acht lässt und dazu führt, dass die Leserschaft den Begriff mit der medizinischen Auffassung und dem Verständnis des Körpers ihrer eigenen Kultur begreift, sodass ihr Verständnis der tibetischen Bedeutungen Einbußen hinnehmen muss. Viele Übersetzer und Gelehrte, die über Tibetische Medizin schreiben, haben daher nach feiner abgestimmten Lösungen gesucht; sie ließen die tibetischen Begriffe für medizinische Fachwörter unübersetzt und beschrieben lieber die Bedeutung, als eine wörtliche Übersetzung anzubieten.

Einem Übersetzer tibetischer medizinischer Texte werden ununterbrochen Entscheidungen abverlangt, ein Gleichgewicht zwischen einer genauen wörtlichen Übersetzung und Sätzen zu finden, die eine Art von Kommentar darstellen (um fehlende Silben oder Wörter zu ergänzen) und so der Leserschaft einen sinnvollen Inhalt vermitteln.

Könnten Übersetzungen tibetischer medizinischer Texte ein ähnliches Schicksal erleiden, wie es der buddhistischen Fachliteratur in den letzten Jahrzehnten erging? Bei der Übersetzung von tibetischen buddhistischen Texten ins Englische setzten die Übersetzer einen fast künstlichen Gebrauch der englischen Sprache ein und benutzten eine neu geschaffene englische Terminologie (Gaffney 2000: 12). Obwohl gute wörtliche Übersetzungen entstanden, musste die Leserschaft zuerst die englische buddhistische Terminologie von Grund auf erlernen, um die oft eigenartig anmutenden Texte zu verstehen. Diese Methode war wohl wörtlich richtig, schloss jedoch eine fachlich nicht gebildete Leserschaft aus. Daher haben die Übersetzer sich entschieden, die allgemeine Leserschaft zu berücksichtigen und gleichzeitig eine zutreffende und bedeutungsgerechte Übersetzung vorzulegen zugegebenermaßen oft zu Ungunsten der wörtlichen Genauigkeit. Dadurch wird dieser Text verständlicher und besser lesbar, als er es bei Anwendung einer exakten philologischen und grammatikalischen Genauigkeit wäre.

Die Unterschiede zwischen Genauigkeit und Lesbarkeit abzuwägen, ist keine einfache Aufgabe. Die Übersetzer, die an diesem Projekt arbeiteten, haben ihr Bestes gegeben. Ich besuchte das Team im der Übersetzungsabteilung im Men-Tsee-Khang in Dharamsala mehrmals, während sie an diesem Projekt arbeiteten. Es kam vor, dass ihre gemeinsame Übersetzungsarbeit zu hitzigen Debatten über ein einziges Wort oder eine bestimmte Phrase führte; ob der tibetische Begriff beibehalten oder ins Englische übersetzt werden oder doch eine biomedizinische Entsprechung gefunden werden sollte; ob eine wörtliche Übersetzung eines Begriffs oder die Beschreibung der medizinischen Bedeutung angebracht wäre. Es zeigte mir die Schwierigkeiten im Übersetzungsprozess auf und die Notwendigkeit, im Team zu arbeiten. Das Ergebnis ist nie perfekt, da es verhandelbar ist; es stellt einen Kompromiss dar. Genauso war die Übertragung des Textes ins Deutsche nicht eine direkte Übersetzung aus dem Englischen, sondern erforderte die Einsicht in den tibetischen Ursprungstext mit einem genauen Vergleich und einer sorgfältigen Neuübersetzung in Anbetracht der Leserschaft, die großteils aus Kreisen außerhalb der tibetischen Kultur kommt. Eine Übersetzung der Vier Tantras für diesen Leserkreis ist daher auch eine Übersetzung der medizinischen Bedeutung aus einer anderen medizinischen Wissenschaftslehre, aus einer anderen Zeit und Kultur.

In der Vergangenheit hatten die Tibeter mehrere Zugänge, diese wissenschaftstheoretischen Unterschiede zu überbrücken. Eine Methode der jüngsten Vergangenheit war es, biomedizinische Entsprechungen für tibetische medizinische Begriffe zu finden, ja sogar zu erschaffen. Dies geschah oftmals aus der Bemühung heraus, die Tibetische Medizin als Wissenschaft darzustellen (Adams 2007; Probst 2006). Eine andere Methode war es, die tibetischen medizinischen Begriffe auf Tibetisch beizubehalten und sogar englische biomedizinische Wörter phonetisch darzustellen, sie in die tibetische Schrift unter Verwendung sanskritischer Schriftzeichen zu transkribieren (Men-Tsee-Khang 1998). Diese Tendenzen und Diskussionen haben in den tibetischen Gebieten in China und im Exil zu unterschiedlichen Ausprägungen geführt, wie ich sie in einem anderen Artikel (Gerke 2011) beschreibe. In diesem Text untersuche ich, inwieweit Übersetzungen von tibetischen medizinischen Texten nicht nur eine Abwägung zwischen vagen gegenüber genauen Übertragungen sind, sondern auch in Zusammenhang von größeren politischen und wirtschaftlichen Strukturen zu sehen sind. Betroffen sind Fragen der Konformität sowie des Selbstbewusstseins: Sollten tibetische Ärzte bei ihren Übersetzungen mit den Anforderungen der heutigen in klinischen Studien benutzten biomedizinischen Terminologie konform gehen oder sollten sie tibetische Begriffe beibehalten und ihr Vertrauen in ihr eigenes Medizinsystem ausdrücken? (Gerke 2011; Prost 2006).

Die vorliegende Übersetzung der Vier Tantras zeigt, dass es keine eindeutige Antwort auf die Frage der Methodik zur Übersetzung tibetischer medizinischer Texte gibt, und dass Übersetzungsmethoden veränderbar und verhandelbar sind, sogar innerhalb eines einzigen Übersetzungsprojekts. Im Hinblick auf die Übersetzung von Fachtexten wie die Vier Tantras in moderne Sprachen für eine westliche Leserschaft sind jüngste Erkenntnisse der Übersetzungslehre überlegenswert. Zum Beispiel kann der Ausdruck Übersetzung auch als dynamischer Begriff einer kulturellen Auseinandersetzung, als Übertragung von Unterschieden und als schwieriger Prozess der Transformation definiert werden (Bachmann-Medick 2006: 33). Vielleicht sind solche Übertragungen von Unterschieden auf Kosten der philologischen Genauigkeit der wesentliche Kern dieses Werks, nämlich ein Versuch, seine medizinischen Reichhaltigkeit und Bedeutung einem größeren Publikum zugänglich zu machen. Nun ist es Sache der Leserschaft zu entscheiden, ob es das Risiko wert war.

Das Vorwort zur ersten englischen Ausgabe, das hier ins Deutsche übersetzt wurde, bietet eine Zusammenfassung der wichtigsten geschichtlichen Ereignisse der Tibetischen Medizin aus Sicht eines Historikers der Tibetischen Medizin (Tsomdrig Yuyon Lhankhang 1990). Neben Zitierungen aus anderen Quellen (zum Beispiel Sangye Gyatso 1994) wurde der Text von Lhankhang von der Übersetzungsabteilung des Men-Tsee-Khang in Dharamsala übersetzt und zusammengefasst (MTK 2008). Dieses Vorwort ist ein Beispiel der kulturellen Auseinandersetzung in der Übersetzungstätigkeit. Die Lehre über die Geschichte der Tibetischen Medizin ist noch in Entwicklung. Sie begann in relativ jüngster Zeit und ist noch nicht weit genug gediehen, um die historische Genauigkeit der meisten Ereignisse zu verifizieren, welche die Tibeter als ihre authentische Geschichte der Tibetischen Medizin betrachten, wie sie im Vorwort dieses Buches beschrieben wird. Es wird eben erst damit begonnen, die bei der Niederschrift der Vier Tantras benutzten Quellen kritisch zu analysieren (Emmerick 1977; Gyatso 2004; Karmay 1989; Yan Ga 2010, in Kürze erscheinend). Wir wissen wenig über die Bedeutung der Vier Tantras im Verlauf der tibetischen Geschichte in ihren verschiedenen Anwendungsbereichen.

Im Gegensatz zur üblichen Annahme, dass die Vier Tantras das repräsentativste und wichtigste medizinische Werk seit dem 12. Jahrhundert sei, wissen wir zum Beispiel, dass die tibetische Übersetzung des A???gah?idayasa?hit aus dem 11. Jahrhundert solange der einflussreichste Text war, bis die Vier Tantras im Lauf des 13. Jahrhunderts mehr Bedeutung erlangten (Martin 2007: 312). Der tibetische Arzt und Gelehrte Yan Ga legt überzeugend dar, dass die Vier Tantras erst geschrieben wurden, nachdem das A???gah?idayasa?hit im 11. Jahrhundert ins Tibetische übersetzt worden war, dass jedoch nur etwa 15% der Vier Tantras auf dieser ayurvedischen Schrift basieren (Yan Ga, in Kürze erscheinend). In der Vergangenheit haben westliche Wissenschaftler angenommen, dass dieses ayurvedische Werk einen wesentlich größeren Einfluss auf die Zusammenstellung der Vier Tantras hatte (Emmerick 1977).

Es bestehen kaum Zweifel, dass die Vier Tantras bis heute die einflussreichsten medizinischen Texte bei den zeitgenössischen Tibetern sind, es gibt jedoch regionale Unterschiede. Zum Beispiel stellt die in Kürze erscheinende Studie von Garrett über die Situ Panchen-Tradition (17001774) der Medizin im östlichen Tibet im 18. Jahrhundert die dominierende Rolle der Vier Tantras in Frage. Garrett betont die Notwendigkeit zu erkennen, dass die tibetischen Medizinkenntnisse und deren Praxis genauso vielfältig wie die uns bekannten religiösen Überlieferungen in Tibet sind (Garrett, in Kürze erscheinend), was auf die Heterogenität der Tibetischen Medizin schließen lässt. Diese Heterogenität der Geschichte und Praxis der Tibetischen Medizin zeigt sich nur nach und nach (siehe auch Gerke 2012: 89).

Um die vorhandenen geschichtlichen Werke der Tibetischen Medizin, die auf Tibetisch oder von Tibetern geschrieben wurden, zu kontextualisieren, muss man das Umfeld verstehen, in dem viele Tibeter ihre geschichtlichen Werke sehen und darauf aufbauend beschreiben. Neben der Vermittlung von Spezialwissen haben tibetische Geschichtswerke oft zusätzliche Bedeutungen; dazu gehört das Gedankengut der Autorität oder Ordnungsinstanz, das die zeitgemäße Anwendung und die Auslegung dieser Werke beeinflusst. Bei der Niederschrift von tibetischen Geschichtswerken spielen gewisse Vorstellungen von Autorität und viele of mit dem Buddhismus in Zusammenhang stehende Texte eine große Rolle. Große Handbücher wie die Vier Tantras entstammen der Bemühung, das medizinische Wissen dieser Zeit zu strukturieren, kodifizieren und standardisieren. Das Ergebnis ist meist ein einheitliches autoritatives System, das so fest in der Tradition verankert ist, dass es schwierig ist, Neuerungen einzuführen. Geschichtliche Werke in Frage zu stellen, wurde in Tibet häufig mit Abneigung bedacht, da eine Neuerung im tibetischen Literaturwesen, wenn schon nicht als echte Abweichung vom vorgezeichneten Weg, so doch immer als riskante Angelegenheit gesehen wurde (Gyatso 2004: 86). Die Art, wie Neuerungen in vorhandene Texte eingebracht wurden, beschränkte sich meist auf das direkte Kopieren und Einfügen ganzer Abschnitte aus älteren Texten.
Wir finden sowohl in ayurvedischen als auch in tibetischen Medizintexten Zitierungen oder Passagen aus älteren Werken, wobei oft keine Quelle angeführt wird. Dies geschah recht häufig, um Neuerungen nicht als etwas Neues, sondern als Teil des bereits Vorhandenen einzuführen (Das 1993: 67). Im Gegensatz zum heutigen Verständnis verfolgten tibetische Autoren keinesfalls die Absicht, die Arbeit anderer ohne ausreichende Quellenangaben in einem Plagiatsakt, wie wir heute sagen, zu übernehmen, sondern überlieferten vorhandenes Wissen, wobei sie tibetische traditionelle literarische Normen befolgten (Mayer 2010).
Es ist daher nicht überraschend, dass wir zwei Arten der Geschichtsschreibung vorfinden, besonders in Zusammenhang mit der tibetischen buddhistischen Literatur:

die objektive Geschichtsschreibung der Archäologen und weltlichen Historiker einerseits; und die interpretative Geschichtsschreibung der buddhistischen Selbstdarstellung anderseits. Meist werden die beiden im Widerspruch zueinander gesehen, wobei erstere vornehmlich das Ziel verfolgen, die strenggläubigen und später neu definierten Auslegungen des Buddhismus zu demontieren und abzulehnen, um die wahre Geschichte des Buddhismus und seiner (wahrscheinlich konservativen, aber immerhin erleuchteten) Vertreter aufzudecken (Mills 2003: 7).

Diese beiden Zugänge zur Geschichte zeigen sich auch in Zusammenhang mit tibetischen medizinischen Texten. Wir sollten uns in Erinnerung rufen, dass die Medizin nicht frei von religiösen Interpretationen ist. Seit ihren Anfängen wurde Bildung in Tibet mit den Vorstellungen spiritueller Erleuchtung assoziiert, diese Vorstellungen durchdrangen auch andere Gebiete gelehrter Schriften, wie auch medizinischer (Schaeffer 2003). In etlichen Geschichtsbüchern der Tibetischen Medizin ist ein ausdrückliches Anliegen zu erkennen, die Medizin als Teil der buddhistischen Geschichte zu präsentieren (Garrett 2006: 204; see also Czaja 2005/2006).

Anstatt die interpretative Geschichtsschreibung der Tibetischen Medizin komplett zu verurteilen, könnten wir die Geschichte der Medizin als Bindeglied zwischen weltlichen und interpretativen Anschauungen betrachten, als Beispiel unterschiedlicher kultureller Übersetzungsprozesse als Abhandlung der Unterschiede anerkennen. Wir könnten lernen, die interpretativen geschichtlichen Texte als das, was sie sind, wertzuschätzen: der bewusste Versuch, eine medizinische Tradition in die spezifischen politischen und religiösen Zusammenhänge ihrer Zeit einzugliedern und der Leserschaft zu vermitteln, wie Historiker die Tibetische Medizin in Zusammenhang mit ihrer imperialen Vergangenheit und bruchstückhaften Gegenwart gesehen haben. Die oftmals angeführte Liste der Ärzte, die Aufzählung ihrer Errungenschaften und ihrer Größe im Hinblick auf buddhistische und medizinische Ethik, die Bedeutung einer fortlaufenden Schule, all dies kann als Versuch der Geschichtsschreiber der Tibetischen Medizin angesehen werden, ein bestimmtes Bild der Tibetischen Medizin zu zeichnen, das sie als maßgeblich und repräsentativ ansahen (Garrett 2007).

In dieser historischen Betrachtung zeigt sich besonders der Schwerpunkt auf internationalen Austausch, der die Entwicklung der Tibetischen Medizin prägte. Garrett führt aus, dass die Anhäufung medizinischer Kenntnisse aus den umliegenden Gebieten während der imperialen Epoche ein wichtiger Aspekt des Selbstverständnisses der Tibetischen Medizin wurde (Garrett 2007: 382). Heute verweisen zeitgenössische tibetische Ärzte oft auf diesen imperialen Internationalismus, wenn sie auf internationalen Konferenzen die Tibetische Medizin vor einem weltweiten Publikum präsentieren. Die oft zitierte Isolation von Tibet auf dem Dach der Welt war keineswegs charakteristisch für die Entwicklung und Verbreitung der Tibetischen Medizin. Sie wurde seit dem alten tibetischen Königreich von internationalen Kontakten und einem regen Austausch begünstigt. Die wachsende Popularität der Tibetischen Medizin hat den Übersetzungsprozess im 21. Jahrhundert neu entfacht; diesmal geht es nicht darum, medizinisches Wissen nach Tibet zu bringen, sondern um die Aufgabe, das vorhandene tibetische medizinische Wissen einem größeren Kreis zugänglich zu machen.

Dr. Barbara Gerke
Humboldt Universität zu Berlin
Department of Asian and African Studies
Central Asian Seminar
Unter den Linden 6
10099 Berlin

Über den Herausgeber
Dr. med. univ. Florian Ploberger B. Ac., BA
Wien.

Schwerpunkte:
Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) und Tibetische Medizin.

Ausbildungen:
Medizinstudium und Turnus in Wien, Akupunkturausbildung bei der Österreichischen Gesellschaft für Akupunktur und Aurikulotherapie 1996; dreijährige TCM-Ausbildung bei Claude Diolosa bis 1998; Bachelor in Akupunktur der K.S. Universität in den USA 1999; vier Semester Studium der Sinologie sowie zahlreiche Studienaufenthalte in China (TCM-Universität in Peking, TCM-Universität in Chengdu) sowie Indien (LTWA - Library of Tibetan Works & Archives). Seit 2004 Studium der Tibetologie an der Universität Wien (Bachelor of Arts in Sprachen und Kulturen Südasiens und Tibets 2009).

Lehrtätigkeit und Publikationen in den Themenbereichen TCM (Schwerpunkt: Westliche Kräuter aus Sicht der TCM) und Tibetische Medizin.

Leiter des Wissenschaftlichen Beirates des Bacopa-Bildungszentrum in Oberösterreich sowie Präsident der Österreichischen Ausbildungsgesellschaft für Traditionelle Chinesische Medizin (ÖAGTCM).

2006 hat er Die Grundlagen der Tibetischen Medizin, eine Übersetzung des Buches Fundamentals of Tibetan Medicin der Men-Tsee-Khang Publication, herausgegeben und wurde 2007 eingeladen, am Men-Tsee-Khang Vorträge zu halten.

Im Sommer-Semester 2010 Lehrtätigkeit am Institute of South and Central Asia der Prager St. Charles University, 2011 ein Gastvortrag am Institut für Ostasienwissenschaften der Universität Wien - Bereich Sinologie.

Semesterweise hält er wöchentlich am Institut für Südasien-, Tibet- und Buddhismuskunde der Universität Wien eine Vorlesung über diverse Themen der Tibetischen Medizin, leitet Meditationen für Studenten der Universität und verbringt jedes Jahr mehrere Monate am Men-Tsee-Khang in Dharamsala.

Abkürzungsverzeichnis
A (Arya 2001)
C (Clark 1995)
CCTM Central Council of Tibetan Medicine
Chin. Chinesisch
CTA Central Tibetan Administration
D (Dawa 1999)
D2 (Dawa 2009)
Dh (Dash 1976)
Ds (Das 1970)
J (jam dpal rdo rje 1971)
K (Kletter und Kriechbaum 2001)
LTWA Library of Tibetan Works & Archives
M (Molvray 1988)
Me (Men-Tsee-Khang 2008)
Skr. Sanskrit
TAR Tibetische Autonome Region
TCM Traditionelle Chinesische Medizin
Tib. Tibetisch
Vgl. Vergleiche

Übersetzung von Ursula Derx

Der Herausgeber
Der Autor
Dr. med. Florian Ploberger B. Ac., MA
Geboren im Wasser-Büffel-Yin-Jahr 1973.

Schwerpunkte:
Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) und Tibetische Medizin.

Ausbildungen:
Medizinstudium und Turnus in Wien, Akupunkturausbildung bei der Österreichischen Gesellschaft für Akupunktur und Aurikulotherapie 1996; dreijährige TCM-Ausbildung bei Claude Diolosa bis 1998; Bachelor in Akupunktur der K.S. Universität in den USA 1999; vier Semester Studium der Sinologie sowie 37 teilweise mehrmonatige Studien- und Forschungsaufenthalte in China (TCM-Universität in Peking, TCM-Universität in Chengdu), Indien (LTWA - Library of Tibetan Works & Archives, Men-Tsee-Khang (Institut für Tibetische Medizin und Astrologie unter der Schirmherrschaft des XIV. Dalai Lama in Dharamsala, Nordindien)) und Nepal. 2012 Master der Tibetologie an der Universität Wien.

Wahlarzt in Wien.

Internationale Lehrtätigkeit und zahlreiche Publikationen in den Themenbereichen TCM (z.B. das bereits in 8. Auflage erschienene Buch Westliche Kräuter aus Sicht der Traditionellen Chinesischen Medizin (auch in englischer Sprache unter Western Herbs from the
Traditional Chinese Medicine Perspective erhältlich), das bei Elsevier erschienene Buch Westliche und traditionell chinesische Heilkräuter) und Tibetische Medizin. Zahlreiche Artikel in deutschen sowie englischsprachigen Fachzeitschriften.

Leiter des Wissenschaftlichen Beirates des Bacopa-Bildungszentrums in Oberösterreich sowie Präsident der Österreichischen Ausbildungsgesellschaft für Traditionelle Chinesische Medizin (ÖAGTCM). Mitglied von IASTAM (International Association for the Study of Traditional Asian Medicine).

2008 wurde er vom Men-Tsee-Khang eingeladen, dort Vorträge zu halten.
Seit 2007 Lehrtätigkeit als Univ. Lektor am Institut für Südasien-, Tibet- und Buddhismuskunde (ISTB) der Universität Wien über diverse Themen der Tibetischen Medizin. Im Rahmen dieser Tätigkeit konnte er bedeutende tibetische Ärzte wie beispielsweise Dr. Dawa, Dr. Namgyal Qusar, Dr. Tsultrim Kalsang, Dr. Teinlay P. Trogawa sowie die Astrologin Dr. Tsering Choezom zu Gastvorträgen an die Universität einladen.
Im Sommer-Semester 2010 ein Semester lang Lehrtätigkeit am Institute of South and Central Asia der Prager St. Charles University, 2011 ein Gastvortrag am Institut für Ostasienwissenschaften der Universität Wien / Bereich Sinologie, seit 2012 jährlich ein Gastvortrag an der Medizinischen Universität Wien im Rahmen der Ringvorlesung Komplementärmedizin, 2014 vier Vorträge über Westliche Kräuter aus Sicht der TCM auf Einladung der Österreichischen Apothekerkammer sowie ein Vortrag am Institut der Sozialanthropologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

Darüber hinaus Vortragstätigkeit bei diversen internationalen Kongressen, beispielsweise 2012 am 12. ICOM-Kongress in Seoul/Südkorea, 2014 am 3rd International Congress on Traditional Tibetan Medicine in Kathmandu/Nepal sowie Vorsitzender der Sitzung Akupunktur beim Menopausekongress in Wien (Veranstalter: Universitätsklinik für Frauenheilkunde), 2015 am International Workshop on Tibetan medical formulas an der University of Westminster in London / British Academy, am Establishing Meeting for the Tibetan Medicine Committee of the World Federation of Chinese Medicine Societies & First Annual Conference on Tibetan Medicine in Xining, China sowie bei der 4th International Academic Conference on Comparison of Traditional and Modern Medicine in Yunnan, China, als keynote speaker.

2009 wurde er offiziell von Dr. Dawa, dem damaligen Direktor des Men-Tsee-Khang, in Absprache mit dem Health Department der Exilregierung der Tibeter mit der Übersetzung der ersten beiden Teile des bedeutendsten Werkes der Tibetischen Medizin (rgyud bzhi) beauftragt. Dieser nun unter dem deutschen Titel Wurzeltantra und Tantra der Erklärungen erschienene Text dient seit dem 12. Jahrhundert als Grundlagentext in der Ausbildung der tibetischen Mediziner und wird noch heutzutage auswendig gelernt.
2011 wurde er von Dr. Tamdin, dem damaligen Direktor des Men-Tsee-Khang, mit der Übersetzung des letzten Teiles der rgyud bzhi beauftragt (erschienen 2015 unter dem Titel Das letzte Tantra aus Die vier Tantra der Tibetischen Medizin).

Preisträger des lebensweise-Preises 2013 in der Kategorie Wissenschaft & Medizin.

Mehr Informationen finden Sie unter www.florianploberger.com

Herr Dr. Ploberger unterrichtet seit 2000 im Bacopa Bildungszentrum.

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